Reise 2018 Teil 2
Von meinem Freund Uwe (wobei ich das drumherum, also auch die Aufforderung, diesen Kettenbrief weiterzusenden, weglassen habe) hab ich folgendes bekommen:
„Mein Freund öffnete eine Schublade der Kommode seiner Frau und holte daraus ein kleines Paket hervor, das in Seide eingewickelt war: « Dies ist nicht einfach ein Paket, darin ist feine Wäsche.» Er betrachtete die Seide und die Spitze. « Dies habe ich ihr vor 8 oder 9 Jahren in New York gekauft, aber sie hat es nie getragen. Sie wollte es aufbewahren, für eine besondere Gelegenheit. Nun ja, ich glaube jetzt ist der Moment gekommen. Er ging zum Bett und legte das Päckchen zu den anderen Sachen, die der Bestatter mitnehmen würde.
Seine Frau war gestorben. Er drehte sich zu mir um und sagte: «Hebe niemals etwas für einen besonderen Anlass auf. Jeder Tag, den du erlebst, ist besonders! » Ich denke immer an seine Worte, sie haben mein Leben verändert. Heute lese ich viel mehr als früher und putze weniger. Ich setze mich auf meine Terrasse und genieße den Blick in die Natur, ohne mich am Unkraut im Garten zu stören. Ich verbringe mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden und arbeite weniger. Ich habe begriffen, dass das Leben aus einer Sammlung an Erfahrungen besteht, die man zu schätzen wissen sollte.
Außerdem schone ich nichts. Ich nehme die guten Kristallgläser jeden Tag, und ziehe meine neue Jacke zum Einkaufen im Supermarkt an, wenn mir danach ist. Ich hebe mein bestes Parfum nicht mehr für Festtage auf sondern trage es, wenn ich Lust habe. Sätze wie « irgendwann » und « eines Tages » werden aus meinem Vokabular verbannt. Wann immer es sich lohnt, will ich, was mir in den Sinn kommt, gleich sehen, hören und machen.
Ich weiß nicht, was die Frau meines Freundes getan hätte, hätte sie gewusst, dass sie morgen nicht mehr da ist (ein Morgen, das uns viel zu sehr egal ist). Ich denke, sie hätte ihre Familie und enge Freunde angerufen. Vielleicht hätte sie sich bei alten Freunden für Freunden für einen Streit entschuldigt, der lange her war. Ich stelle mir gern vor, dass sie chinesisch essen gegangen wäre (zu ihrem Lieblings-Chinesen). Es sind die ganz kleinen nie getanen Dinge, die mich ärgern würden, wenn ich wüsste, dass meine Stunden gezählt sind.
Ich wäre traurig, gute Freunde nicht mehr getroffen zu haben, mit denen ich schon so lange Kontakt aufnehmen wollte (irgendwann, eben). Traurig, dass ich die Briefe nicht mehr geschrieben habe, die ich schreiben wollte « irgendwann, eben». Traurig, dass ich meinen Lieben nicht oft genug gesagt habe, dass ich sie liebe.
Inzwischen verschiebe ich nichts mehr, bewahre nichts für eine besondere Gelegenheit auf, was ein Lächeln in unser Leben bringen könnte.
Ich sage mir, dass jeder Tag ein besonderer Tag ist. Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute ist besonders..."
Ich weiß nicht mehr genau wie lange es her ist, aber ich denke, es werden mittlerweile zwischen zwölf und 15 Jahre sein. Gerd Kappe, ein humorvoller, lustiger, besonders sympathischer Mann, der mit seinem Freund eine Baufirma besaß, mit dem ich viel zu tun hatte und der mir selbst auch ein bisschen ein Freund wurde, bekam einen Herzinfarkt und wurde im Krankenhaus Gera behandelt.
Am Tag seiner Entlassung bekam er einen Schlaganfall. Nach einem Jahr noch einen, einen sehr schweren. Seitdem saß er im Rollstuhl, konnten nicht mehr sprechen, sich nicht mehr bewegen. Im letzten Jahr ist er gestorben.
Ich habe damals mit seiner Frau gesprochen, als es ihm schlecht ging, wollte ihr wenigstens verbal zu Seite stehen. Als wir so miteinander gesprochen haben hat sie unter anderem gesagt, dass sie in jeden Sommer, wenn sie gern Urlaub machen wollte, ihren Mann danach gefragt hatte und er habe dann zu ihr gesagt: Das können wir doch nicht, wir haben jetzt gerade viel Arbeit, das machen wir wenn wir Rentner sind.
Zu dieser Zeit habe ich selbst noch sehr viel gearbeitet, manchmal bis früh um eins oder zwei im Büro gesessen, gezeichnet, geschrieben, die Arbeit nicht aus dem Kopf bekommen. In der Nacht bin ich aufgewacht weil mich irgend ein Problem, was mit Arbeit zu tun hatte, gequält hat.
Als ich mit der Frau von Gerd Kappe gesprochen hatte, habe ich mein selbst selbst hinterfragt und dies zum Anlass genommen, mein eigenes Leben zu ändern.
Schrittweise hab ich immer weniger gearbeitet, irgendwann hatte ich keine Angestellten mehr, hab nur noch das gemacht, was ich selbst machen konnte und hab die Architektentätigkeit, den Stress, Ärger, das aufreiben an Bauherren, Behörden und Firmen hinter mir gelassen.
Die einzige Ausnahme bezogen auf die Architektentätigkeit war, beginnend mit 2013 und endend mit 2015 die Planung und der Umbau des Hauses von Petras Eltern zu dem, was es jetzt ist: Das Haus, in dem Pfeffi und Anja mit ihren Familien leben. Und dieses Haus ist das, was mir in meiner Tätigkeit als Architekt richtig am Herzen gelegen ist.
Und seit nunmehr 10 Jahren lebe ich so wie ich lebe, schreib ab und zu ein Gutachten, mach mir damit wenig Stress, pack meine Sachen und reise in die Welt oder bleibe zu Hause und mache es mir dort gemütlich.
Ich denke, so ein Umdenken, so eine Änderung des Lebens kommt nicht davon, wenn man so ein Kettenbriefchen bekommt, sondern es kommt aus dem eigenen Inneren, aus dem eigenen Bewusstsein, aus dem eigenen Erleben. Was ich aber auch sagen will ist, es muss jeder für sich entscheiden, was für einen selbst das richtige ist. Das, was man selbst tut, muss für jemand anderen nicht das richtige sein.
Und es hat auch keinen Sinn, auf andere einzuwirken, sein Leben zu ändern, nur weil man das eigene Leben anders lebt. Vor einigen Jahren habe ich das versucht, bin damit grandios gescheitert, bin aber auch mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, dass mein Leben nicht der Maßstab für andere sein kann.
Vielleicht ist das die beginnende Altersweisheit, wer weiß.
Apropos Altersweisheit: Diese ist der auch über Walter Ulbricht gekommen. Dies war einer der Gründe, warum der Dachdecker zu Breschnew gefahren ist, ums sich einen Freibrief gegen den Tischler geben zu lassen.
Denn dieser hatte vor, sich eher vom Osten abzuwenden und näher mit der Bundesrepublik zusammen zu arbeiten. Er hatte eingesehen, dass der damalige Moskauer Weg in die Irre führt. Und damit letztlich Recht behalten.
Wobei wiederum der spätere Moskauer Weg, Perestroika und Glasnost, vom Dachdecker vehement bekämpft wurde und das wiederum seinen Untergang auslöste.
Aber ich schweife ab und komme nun wieder zum Hier und Heute. Die Nacht war wieder kurz und hell. Das Wetter ist wie gestern, es ist kalt, ein paar Stellen sind blau am Himmel, der Rest ist bewölkt. Wobei das gestrige Wetter für die Wanderung sehr gut gewesen ist.
Im übrigen, trotzdem ich mich im Wald gelaufen bin, Mücken haben mich nicht belästigt. Vielleicht lag es am Wind, vielleicht an der Kälte.
Allerdings eine Mücke hat sich dann doch auf meinen Daumen während meiner Rast gesetzt und wollte das Blut aus ihm saugen. Mein Zeigefinger jedoch hat sie blitzschnell gemeuchelt.
Ich werde noch lesen bevor ich mein Auto anlasse und weiter fahre...
Gestern, auf der Anfahrt, habe ich meine ersten Rentiere in diesem Jahr gesehen, ich konnte jedoch nicht so schnell reagieren und ein Foto machen. Sie liefen über die Straße als Gruppe und das besondere daran war, es waren wilde Rentiere, keine gezähmten. Es werden so zwischen fünf und sieben Stück gewesen sein. Und wilde Rentiere habe ich im übrigen nun auch das erste Mal gesehen.
Nach 90 km ist es erreicht, der Ort Vittangi, Das wichtigste Ziel für heute. Mein Gott! Was für eine Scheiße! Das sollte nun heute eigentlich der krönende Abschluss für meiner Schwedenreise sein, die, so denke ich, morgen oder übermorgen beendet sein wird.
Die Elchfarm! Die wollte ich mir anschauen, denn Elche habe ich in Schweden in freier Wildbahn leider keinen einzigen sehen können. Sehr traurig. Fotografiert habe ich für euch wenigstens die Reste dieser Farm. Eine nette Dame, die hier nebenan wohnt, hat mir berichtet, dass diese Farm schon seit zwei Jahren geschlossen ist. Die Krönung jedoch ist, die Elche, die hier gelebt haben, die sind nach Deutschland geschafft worden! Nicht zu glauben! Ich komme her, um hier die Elche anzusehen, und die Elche sind weg nach Deutschland, vielleicht um mich dort zu suchen…
Heute übrigens ist in Schweden Nationalfeiertag. Warum eigentlich am 6. Juni?
Vielleicht ist der Anlass die Krönung Gustav Vasas zum König von Schweden. Damit einher ging das Ende der Union mit Dänemark, und Schweden wurde zu einem selbstständigen Staat. Dänemark kontrollierte damals große Teile von Schweden, und Gustav Vasa führt Schweden in die Unabhängigkeit.
Zum anderen fand am 6. Juni 1809 eine Regierungsreform statt und die neue Verfassung wurde angenommen.
Vielleicht war es aber auch Artur Hazelius, der Gründer des Nordischen Museums und des Freilichtmuseums Skansen in Stockholm.
Er organisierte im Juni 1893 Feiern zu Ehren des schwedischen Vaterlandes, und die meisten Besucher kamen am 6. Juni - dies war der einzige Tag, an dem es nicht regnete. Dies nahm Artur Hazelius zum Anlass, ins Jahrbuch des Museums Skansen zu schreiben: "als dem vaterländischen Gedenken gewidmeter Feiertag wurde im Skansen der 6. Juni eingeführt, der Gustavstag, welcher hier gefeiert wurde und in Zukunft gefeiert wird als schwedischer Nationaltag".
Nun, die Geschichte hat ihm recht gegeben.
Nun muss ich aber doch noch etwas einfügen, als ich schon aus der Stadt hinaus fahren wollte, habe ich eine Ansammlung von Menschen auf einem Platz gesehen, hab mein Auto abgestellt und mich dazu gesellt. Und wie ist der Teufel so will sprach eine Frau akzentfrei Deutsch. Wir haben uns schließlich unterhalten, sie stammt aus Riesa, Ist über Dresden nach Berlin gekommen und hat vor 17 Jahren den Weg nach Schweden genommen. Drei Kinder nennt sie ihr eigen, fühlt sich wohl hier und lebt gerne hier. Der Vorbesitzer der Elchfarm, der das alles aufgebaut hat, war auch anwesend und mit ihm habe ich mich dann noch über Elche unterhalten. Jedenfalls hat er sich sehr gewundert, dass ich keinen frei lebenden Elch gesehen habe. Er hat im übrigen auch gut Deutsch gesprochen.
Weiter ging es noch etwa 80 km bis Jukkasjärvi, hier befindet sich die älteste Kirche in Lappland, von innen konnte ich sie nicht anschauen. Wobei das, was von innen zu sehen ist relativ neu ist, stammt aus den beginnenden 20. Jahrhundert.
Unmittelbar daneben ist eine kleine Samenausstellung mit einem Freigehege voller Rentiere, diese habe ich natürlich besucht. Und wie man deutlich sieht man sie auch sehr neugierig auf mich. In den zugehörigen Shop hab ich mir eine Mütze gekauft, denn es ist arschkalt. Mit der Verkäuferin habe ich gesprochen, sie konnte ausgezeichnet deutsch und hat mir einiges erklären können.
Dazu ist dann noch eine Familie aus Erfurt gestoßen, auch sie werden insgesamt fünf Monate unterwegs sein. Der Mann arbeitet in der Forstverwaltung und hat dort sozusagen ein Sabbatjahr eingelegt. Nach dem wir uns beide gegenseitig gute Reise gewünscht haben sind wir dann wieder aufgebrochen. Sie werden weiter in den Norden fahren, so dass sie zur Sommersonnenwende am Nordkap sind. Ich selber werde nicht weiter nach Norden reisen, sondern meinen nördlichstem Punkt werde ich morgen oder übermorgen erreicht haben. Die Zeit in Schweden geht nun ihrem Ende entgegen, diese Nacht werde ich noch in Schweden verbringen, die nächste bestimmt auch noch. Dann aber geht es nach Norwegen.
Jetzt befinde ich mich in Kiruna, mein morgiges Ziel wird ab Abisko sein, dort möchte ich den dortigen Nationalpark aufsuchen. Noch eine ausgiebige Wanderung machen und dort bestimmt auch übernachten.
Alles andere später, jetzt werde ich noch die Kirche anschauen, zumindest von außen, und mir einen Übernachtungsplatz suchen. Ansonsten kann ich dieser Stadt wenig abgewinnen, es ist zwar die nördlichste Stadt Schweden aber es ist eine Industriestadt die vom Erzabbau lebt.
Den hab ich nach etwa weiteren 50 km gefunden, am Ufer des riesigen Torneträsk. Knapp 50 km sind es von hier bis zum Nationalpark. Neben mir steht ein Wohnmobil mit zwei Schweizern, die sind ganz im Süden von Norwegen gestartet und haben hier ihren ersten Halt in Schweden eingelegt. Als ich angekommen bin haben wir uns ein Stück unterhalten, sie kommen aus der Nähe von Bern. Und wieder habe ich neue Leute kennen gelernt.
Mittlerweile ist es 20:30 Uhr, draußen sind es 5° und eine meiner besten Entscheidungen heute war (oder die der letzten Tage) mir die Mütze zu kaufen.
Vorhin habe ich eine Nachricht bekommen von jemanden, von der ich nicht erwartet hätte, das sie mein Tagebuch liest. Das freut mich natürlich, wobei ich da gar gern mehr gewollt hätte… Aber was nicht ist kann ja noch werden (man muss doch immer optimistisch bleiben, oder?)